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Leserbrief

Eine Geschichte über meine Mutter

Mittwoch, 3. April 2024

Eine Geschichte über meine Mutter

von Sepp Rauch, Zell am Ziller

Über meinen lieben Vater habe ich des Öfteren schon etwas geschrieben. Heute möchte ich einmal von meiner seelenguten und lieben Mutter etwas zu Papier bringen! 

Meine Mutter Anna Rauch, geb. Kreidl, hat am 16. November 1904 am „Grasegg Bauernhof“ in der Gemeinde Tux das Licht der Welt erblickt. Sie war die Viertgeborene in dieser Großfamilie mit sechs Geschwistern. Schon im Alter von sieben Jahren verlor sie ihren Vater und zwei Jahre später die Mutter. Sie wurde Vollwaise. 

Sepps Mutter Anna

Die ärztliche Versorgung war zur damaligen Zeit, verglichen mit der heutigen, mehr als katastrophal. Im Zillertal gab es nur drei Ärzte: Dr. Lambert Reithmeier in Mayrhofen, in Zell Dr. Karl Kreidl und in Fügen Dr. Anderl. Zudem war es auch eine Geldfrage und Versicherung gab es keine. Vielleicht hätte eine ärztliche Hilfe diesen bedauernswerten Menschen helfen und ihr Leben etwas verlängern können. Nach dem Ausschulen mit 14 Jahren musste sie das Elternhaus verlassen und selbst ihr tägliches Brot verdienen. Der „Stockwirt“ in Lanersbach war als „Kindsdirn“ ihr erster Dienstplatz. 

Im Jahr 1919, zu „Mara Lichtmess“, trat sie beim Krapfenwirt in Finkenberg ihren zweiten Arbeitsplatz an. Eine ihrer ersten Arbeit mag heute als Horror erscheinen. Im Frühwinter gab es zu wenig Schnee, um einen Schlittenweg machen zu können. Als der Schnee kam, musste das Taxenstreu mit einem Schlitten auf den Hof gebracht werden. Nicht unbedingt eine Frauenarbeit, aber ihre Chefin, die „Krapfenwirtin“, kannte keinen Pardon. Sie musste mitarbeiten und mit deren zwei Söhnen in den Wald. Zu der Zeit war eine Hose bei Frauen noch verpönt. Ein langer Rock, Schafwollstrümpfe bis über die Knie und keine „Unterhose“, und das im knietiefen Schnee, heute unvorstellbar! Aber sowas gehörte damals zur so genannten „Guten alten Zeit“!

In diesen Jahren hat sie ihren zukünftigen Gatten, den „Kirmer Peatarl“, der beim Brugger Bauern in der Nachbarschaft als Knecht arbeitete, kennen gelernt. Am 2. Mai 1927 haben sie in der „Stiftskirche Fiecht“ geheiratet. Im Rosengarten am Innerberg mieteten sie sich eine Wohnung, wo ihre erste Tochter Tresl zu Welt kam. Im Frühjahr 1928 ist diese kleine Familie auf den Ramsberg nach Brindling übersiedelt. Dort haben sie den Oberbrindlinghof gepachtet. Ihn als Bauernhof zu bezeichnen, war etwas übertrieben. Soviel ich von der Mutter weiß, war das neue Zuhause eher mit einer Almhütte vergleichbar. In der Küche hinter dem Herd stand eine rohe, unverputzte Steinmauer. Bei einem ihrer ersten Einkaufgänge hat sie beim „Katstaller“ in Hippach einige Bögen Wandschoner gekauft und diese mit Roggenteigpapp an die Wand geklebt, um die Küche ein bisschen wohnlicher zu gestalten. In dieser Behausung hat mich am 4. März 1929 meine Mutter zur Welt gebracht. Ein extrem kalter Winter war es, in dem mich meine Taufgote „Köfer Möidal“ in Hippach zur Taufe brachte.

Die nächste Station war der kleine Stummerberg. Mit Sack und Pack und ihren zwei Kühen zog unsere inzwischen 4-köpfige Familie in das kleine Bergbauerngütl „Schermbach“ ein. Dort brachte meine Mutter ihr drittes Kind, meinen am 21. August 1930 geborenen Bruder Max zur Welt. Diese Pacht lief ebenfalls nur ein Jahr, dann ging es ein Stück bergwärts auf den „Schlöglerhof“. Am 9. März 1932 erblickte mein Bruder Peter das Licht der Welt. Diese Bleibe dauerte ebenfalls nur ein Jahr. Der „Kendlbauer“ am Gattererberg pachtete den Gutshof vom Schloss Tratzberg in der Gemeinde Stans. Für meine Eltern bot sich die Möglichkeit, den Kendlhof zu pachten, um einmal für längere Zeit eine Bleibe zu finden. Der Pachtvertrag wurde für fünf Jahre abgeschlossen. Der Kendlhof war eigentlich für die Vorstellung meiner Eltern ein zu großer Hof. Diese Mehrarbeit konnten sie allein nicht mehr schaffen, denn sie waren nicht mehr „Kleinhäusler“, sondern Arbeitgeber. Einen Knecht, eine Magd und eine Kindsdirn wurden eingestellt, denn am 9. Oktober 1934 gebar meine Mutter meinen Bruder Fritz und wir wurden schön langsam eine Großfamilie. Das „Schöne“, laut Erzählung meiner Mutter, war das gute Klima mit der ganzen Nachbarschaft. Mein Vater wurde auf Grund seiner Kenntnisse in allen landwirtschaftlichen Belangen und seiner Erfahrung sowie handwerklichem Geschick in der ganzen Nachbarschaft ein gesuchter Nothelfer. Es entwickelten sich Freundschaften, die, als wir schon in Finkenberg waren, aufrecht und in Erinnerung geblieben sind.

Aber diese für meine Eltern verhältnismäßig gute Zeit wurde im Februar über Nacht zerstört. Der Gutshof von Schloss Tratzberg wurde im Februar 1935 ein Raub der Flammen und zur Gänze zerstört. Die „Kendlfamilie“ musste wieder auf ihren Hof zurückkehren, für meine Eltern war diese gute Zeit beendet.

Für meine Eltern stand wieder die schwere Zeit bevor, eine neue Bleibe zu finden, eine neue Pacht aber bot sich nirgendwo an. Das Schlimmste war die allgemeine Wirtschaftskrise in Österreich mit sechshunderttausend Arbeitslosen, „Registrierte“, die Ausgesteuerten nicht mitgezählt. In Wirklichkeit mögen es wohl eine Million gewesen sein. Die schlimmste Zeit, die es im vorherigen Jahrhundert für die arbeitende Bevölkerung gegeben hat. In Finkenberg, beim „Durler in der Au“ fanden meine Eltern ein neues Quartier. Die Sorgen meiner Mutter müssen unbeschreiblich gewesen sein, dass unser Vater ohne Arbeit und Verdienst zu Hause war. Mein Vater ohne Arbeit mit fünf Kindern. Für einen Bezug des Arbeitslosengeldes fehlte meinem Vater die Berechtigung, da er ja keine Versicherungszeiten nachzuweisen hatte. Außer ein paar Gelegenheitsarbeiten war er zwei Monate zu Hause. Sie hatten durch den Verkauf von Rindern und verschiedener Gerätschaften „schön was auf der Kante“. Aber das sollte ein Polster bleiben, um einmal eine kleine eigene Landwirtschaft zu kaufen. Mit seinem Schwager, dem „Hosar Gustl“, der schon lange am Magnesitwerk beschäftigt war, hatte er Kontakt, um einmal ebenfalls in diesem Betrieb einen Arbeitsplatz zu bekommen.

Am 2. Mai 1935 war es dann soweit. Mein Vater hat dort Arbeit gefunden und ist bis zu seiner Pensionierung dort geblieben. Vom „Durler“ sind wir dann in den Innerberg ins „Auerhaus“ gezogen. Mein Vater ersparte sich dadurch eineinhalb Stunden Wegzeit zu Fuß zu seinem Arbeitsplatz. Am 30. Dezember 1936 gab es wieder Zuwachs in unserer Familie. Meine Schwester Mathilde kam zur Welt. Im Sommer 1937 hatten wir drei Ziegen, die wir hinter der Rosengartenbrücke im Wald weiden lassen durften. 

An einem Sonntagnachmittag waren Max, Peter und ich unterwegs, die Ziegen zu holen. Dies dauerte länger als geplant. Mittlerweile zog ein schweres Gewitter auf. Meine Mutter in ihrer vielleicht zu ausgeprägten Sorge ging uns suchen. Uns hat das Wetter Spaß gemacht und hatten keine Eile. Als uns die Mutter fand, trat sie total verschwitzt mit  uns den Heimweg an. Durch das Wetter und die rasche Abkühlung hat sich die Mutter eine schwere „Gliedersucht Erkrankung“ zugezogen, die aufgrund der damals medizinischen Erkenntnisse nicht heilbar war. Ein lieber ehemaliger Nachbar vom Gattererberg hat ihr mit einem „Wundertee“ zu einer Besserung verholfen. Mit dieser Krankheit durfte man nicht mit Wasser in Berührung kommen. Das allerdings war für eine Hausfrau und Mutter sehr schlimm. Auch war Wasser beim Umgang mit einem Kleinkind unumgänglich. Wenn sie ins Badewasser griff, um die Temperatur zu prüfen, bekam sie einen Anfall und musste so schnell wie möglich das Bett aufsuchen. Jede Tätigkeit wurde für sie unmöglich. Mein Vater hat ihr so gut es ging, das Meiste von der Hausarbeit abgenommen. Er war nicht nur ein guter Vater, auch ein „Hausmann“, das hat er schon seit dem zwölften Lebensjahr als Halbwaisenkind ohne eine Mutter in seinem Elternhaus gelernt.

Am 15. März 1939 kam dann noch mein jüngster Bruder „Franzal“ auf die Welt. Es schneite schon zwei Tage und Nächte. Ich durfte nicht zur Schule, meine Mutter schickte mich zu ihrer Schwester „Moslau Jule“, um ihr in dieser schweren Zeit beizustehen. Unsere Familie war jetzt vollzählig. Die finanzielle Notzeit war auch vorbei. Unsere Mutter war glücklich, sie konnte erstmals uns Kindern zum „Chistkind“ etwas kaufen. Es wäre alles bestens gewesen, aber am 1. September 39 begann der Zweite Weltkrieg. Unser Vater musste auch für neun Monate zum Militär. Für seinen erhaltenen Wehrsold, den er nach der Abrüstung erhielt, hat er für uns drei älteren Buben Schier und für unsere Schwester Tresl eine Rodel gekauft, die Freude war unbeschreiblich! Das Magnesitwerk wurde zum „Kriegswichtigen Betrieb“ erklärt, und mein Vater brauchte deshalb nicht mehr zum Militär einrücken.

Sepps Eltern bei ihrer Goldenen Hochzeit

Für meine Mutter und uns allen war es ein „schwerer Schlag“, als im Alter von neun Jahren mein Bruder Peter an einem damals unheilbaren Nierenleiden erkrankte und mit 20 Jahren  daran verstarb. Elf Jahre lang wurde salzlos gekocht. An Diätkost war in dieser schweren Zeit der „Lebensmittelkarten“ nicht zu denken. Es war für die Mutter besonders schwer. Ein Sorgenkind ist einer guten Mutter immer besonders ans Herz gewachsen. 

Das sind Erinnerungen an meine „liebe Mutter“ mit einem Leben voller Arbeit und Entbehrungen. Sie hat aber alles, mit tatkräftiger Hilfe meines Vaters, bravourös gemeistert. Uns im „Christlichen Glauben“ zu aufrechten Menschen zu erziehen, war beiden in die Wiege gelegt. Im Jahr 1939 wurde auch in Österreich der „Muttertag“ eingeführt, den man vorher bei uns nicht kannte. Geld hatte ich keines, denn ein Taschengeld für Kinder war damals auch nicht üblich. Ich ging in der Früh vor dem Kirchgang auf die Wiese und habe ihr ein Sträußchen Feldblumen gebracht. Sie war sichtlich ergriffen über ihr erstes Muttertagsgeschenk.

Wir waren eine ärmliche Arbeiterfamilie, aber waren trotzdem immens reich. Ich habe es immer so empfunden. In so einem „Elternhaus“ aufzuwachsen ist ein Geschenk, ein Reichtum, der unschätzbar ist, und für das ich meinen guten Eltern ewigen Dank schulde.

Unser lieber „Gottvater“ möge ihnen alles in einem besseren Jenseits reichlich lohnen und über ihre drei noch lebenden Kindern seine schützenden Hände halten!

Zillertaler Zeitung

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