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57 Tage bangen nach Bergunfall im Zillertal

Beruf oder Berufung – sehr oft wird von Bergrettern, Helfern und Alpinpolizei bei Einsätzen bei nahe unmenschliches für Menschen geleistet

Mittwoch, 5. Juli 2023
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Für viele von uns ist der tragische Bergunfall des 61-jährigen Tirolers im Bereich des Wollbachspitzmassiv im Zillertal noch in trauriger Erinnerung. Zahlreiche Medien haben darüber berichtet. Zeitgleich begann jedoch für die Familie des Verunglückten, für seine Angehörigen und für seine Freunde an diesem 22. April eine wochenlange, unglaublich schwere Zeit. 57 Tage sind verstrichen. Tage, die von bangender Hoffnung bis hin zur schrecklichen Gewissheit und schlussendlich von tiefer Trauer geprägt waren.

Diese 57 Tage gingen aber auch bei den Einsatzkräften der Bergrettung, Alpinpolizei samt Piloten, Lawinenhundestaffel und so manchen privatem Helfer nicht spurlos vorüber. Jede technische Möglichkeit wurde ab der Erstalarmierung  in Betracht gezogen, jedes Wetterfenster genutzt und jeder noch so kleinen Wahrnehmung nachgegangen, um den vermissten Einheimischen so schnell wie möglich finden und bergen zu können. Doch bis zur traurigen Gewissheit vergingen dann noch knapp zwei Monate.

Was geschah in dieser Zeit? 

Neben einer ganzen Armada an Rettungskräften bei sieben groß angelegten Einsätzen mit weit über 300 Einsatzstunden ließ das Geschehen auch so manchen Bergretter in seiner Freizeit keine Ruhe und sie stiegen immer wieder hinauf auf knapp 3.000 Metern, um die Schnee- und Wetterverhältnisse für weitere gemeinsame Einsätz zu prüfen, um Erkundungen im vermeintlichen Unglücksgebiet einzuholen oder einfach der Frage nachzugehen: Haben wir etwas übersehen? 

„Bei solchen Ereignissen spielt es kaum eine Rolle, ob du als freiwilliger Bergretter oder als hauptberuflich engagierter Mitarbeiter im Einsatz bist – der Fokus und all dein Denken  liegt in diesem Moment nur auf diesem Einsatz und wie es dazu kommen konnte. Es lässt einem einfach keine Ruhe. Dazu gehört natürlich auch die Frage, wie man so etwas verhindern hätte können, hat man alle Vorsichtsmaßnahmen im Vorfeld getroffen, und, und, und…“, weiß Ortsstellenleiter Andreas Eder von der Bergrettung Mayrhofen zu berichten, nachdem der Verunglückte am 19. Juni 2023 auf ca. 2.900 Metern unterhalb der Wollbachspitze tod aufgefunden wurde. 

Von Libellen, Drohnen und Metalldetektoren

Auch wenn im Bergrettungswesen und bei den dazugehörigen Einsätzen der Mensch mit seiner Erfahrung, seinem Gespür, seinem Können und vor allem aber mit seiner Bereitschaft oft Unmenschliches für verunglückte Mitmenschen leisten zu wollen im Vordergrund stehen, so gehören zunehmend die neuen technischen Möglichkeiten und Gerätschaften zu einem nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil bei Bergrettungseinsätzen. So auch vom 23. April bis 19. Juni 2023 im Sundergrund:

Allein an fünf Einsatztagen war der Polizeihubschrauber Libelle des Bundesministeriums für Inneres mit einer der österreichweiten 32 Einsatzgruppen und bestens ausgebildeten und erfahrenen Piloten vor Ort. Mit an Bord das neueste Werkzeug der Bergrettung – das RECCO-SAR Suchsystem, welches mittels Seil am Helikopter hängt. Es handelt sich dabei um ein weltweit führendes Rettungssystem – bestehend aus zwei Komponenten: einem Detektor und einem Reflektor. Diese Personen-Ortungstechnologie bietet ein neues Werkzeug, um große Flächen freien Geländes schnell und effektiv nach vermissten Personen abzusuchen. In nur 6 Minuten kann so ein Quadratkilometer genauestens abgesucht werden. Nicht zu vergleichen mit einer terrestrischen Suche, sprich die Suche von Einsatzkräften im Gelände nach Vermissten bzw. nach Hinweisen, die zu den Vermissten führen könnten. Wobei ein funktionierendes und signalgebendes LVS, sprich Lawinenverschütteten-Suchgerät, die Erfolgsquote in beiden Fällen ungleich erhöhen würde.

Abgesehen von dieser technischen Neuheit ist eine Suche mit Lawinensuchhunden und Sondierketten nach wie vor unumgänglich. So wie auch am 26. April, nachdem bei einem Suchflug des Polizeihubschraubers Libelle mit einem Bergretter aus Mayrhofen im Gipfelbereich die Skier des Verunglückten gefunden wurden. Leider ohne weiteren Erfolg. Darüber hinaus kamen auch noch Metalldetektoren zum Einsatz, um evtl. verschüttete Gegenstände wie Skistöcke, Handy, usw., die zum Verunglückten führen könnten, ausfindig zu machen.

Am 29. April 2023 und nachdem es die Wetterverhältnisse zuließen, kam dann erstmals die Bergrettungsdrohne zum Einsatz. Dazu Andi Geisler von der Bergrettung Mayrhofen: „Bereits 2016 arbeiteten wir erstmals mit einer Drohne, doch mit dem neuesten Modell „DJI Magic 2 Enterprise Advanced Dual“, welches wir seit 2021 im Einsatz haben, erweiterten sich die Möglichkeiten ungemein: Gewicht nur 900g – damit leichter Zugang zum Startpunkt, Wärmebild 640 x 480 und selbsterwärmende Akkus, 23 Minuten Flugzeit, bis 72 kmh, Einsatzbereich -20 bis + 40°, 10 km
Reichweite, Fernsteuerung und behördlich genehmigte Flughöhe bis 1.500 m über dem Standpunkt, dadurch ist die Suche entlang von Hängen auch auf große Distanzen möglich (vielfacher Einsatz auch bei den Klettersteigen), dazu Lautsprecher, Positionslicht uvm.

Am Montag, den 19. Juni 2023 dann das allseits traurige Aufatmen. Bei einem weiteren Flug des Polizeihubschraubers konnte die Leiche des vermissten Skitourengehers unter Mithilfe der guten Wetterverhältnisse sowie der fortschreitenden Schneeschmelze gefunden werden.

Beruf oder Berufung – auch bei diesem tragischen Unfall wurde von den Einsatzkräften Außergewöhnliches geleistet und dennoch: „Unser tiefstes Mitgefühl gilt den Angehörigen, wohlwissend, dass unsere Berge nicht nur Gefahrenquelle, sondern im Besonderen auch Kraftquelle für viele Menschen sind. Und genau diese Quelle gibt uns die Kraft zu helfen“, – so die Worte eines Bergretters.

Widrige Verhältnisse am Fuße der Wollbachspitze.
Die Skier wurden am 26. April im Gipfelbereich gesichtet.
57 Tage waren zahlreiche Retter im Einsatz.
Auch mit Metalldetektoren wurde nach Gegenständen gesucht.
ROCCO – ein weltweit führendes Suchsystem mit Detektor und Reflektor.
Knapp 1,5 Meter tief wurde ein Skistock des Verunglückten gefunden.

Fact-Box zur Suchaktion

23.04.2023:
Erstalarmierung
Bergrettung um 8.43 Uhr,
Im Einsatz: 17 BergretterInnen, Polizeihubschrauber Libelle, Alpinpolizei,
Fund Fahrrad im Sundergrund, Versuch aufzusteigen, Abbruch wegen Wetter/ Lawinensituation

26.04.2023:
Wettersituation bessert sich,
Suchflug Polizeihubschrauber Libelle und Recco SAR,
Fund der Ski im Gipfelbereich,
15 BergretterInnen mit Sondierketten und 2 Lawinensuchhunde im Gipfelbereich

29.04.2023:
Einsatz Bergrettungsdrohne
im Bereich Kasseler Hütte

04.05.2023:
Weitere Suche
im Gipfelbereich mit Metalldetektoren und Polizeihubschrauber Libelle,
Fund Skistock (ca. 1,5 m tief) am Gipfelgrat, anschließend wieder
Schlechtwettereinbruch mit massiven Neuschnee

28.05.2023:
Div. private Erkundungstouren und Prüfung der Verhältnisse,
Schneedecke noch immer sehr mächtig, kein Einsatz sinnvoll

15.06.2023:
Einsatz der Drohne
im Sundergund und Hänge in Richtung Wollbachspitze

16.06.2023:
Weiterer Suchflug mit Polizeihubschrauber Libelle

19.06.2023:
Intensivierung
der Suche wegen guten Wetterverhältnisse und fortschreitender Schneeschmelze,
Terrestrische Suche mit Alpinpolizei.
Der vermisste Skitourengeher wurde beim ersten Flug des Polizeihubschraubers auf
einem Schneefeld, auf ca. 2.900 Meter, weit unterhalb des Gipfels entdeckt.

Fotos: Bergrettung Mayrhofen

Zillertaler Zeitung

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