Sepp Rauch, Zell am Ziller, berichtet von einer seiner schönsten Reisen in der Funktion als Reiseleiter des Pensionisten-Verbandes des Bezirk Schwaz
Im Februar 2000 überraschte mich mein Bezirks-Obmann Kapferer Peppi mit einer neuen und zusätzlichen Aufgabe. Der langjährige Reiseleiter ist auf Grund einer Erkrankung ausgefallen und ich solle diesen Job übernehmen. Für mich war das ein völlig unerwartetes Ansinnen und ich sagte zu ihm: „Peppi, ich habe wohl als Bus-Reiseleiter Erfahrung, aber nicht mit Flugreisen.“ Seine Antwort war: „Sepp, wie ich dich kenne, schaffst du das leicht. Ich bringe dir die Teilnehmerliste und werde dich über alles Nötige informieren.“ Ein paar Tage später kam er bei mir vorbei und überbrachte mir die Unterlagen, den Reiseplan sowie die Liste mit den 38 Teilnehmern. Reisetermin war die letzte Woche im April mit Abflug 6.00 Uhr früh vom Flughafen Salzburg. Nach ca. 1 Stunde und 45 Minuten Flug landeten wir in Varna, der drittgrößten Stadt von Bulgarien, wo wir schon recht herzlich von den dortigen Reiseleitern und Vertretern des Hotels begrüßt wurden. Ich hatte das einmalige Glück, den wohl besten ortskundigen Reiseleiter zu bekommen. Iwo, Sohn eines Hochschulprofessors, der in Berlin aufgewachsen war und dort die Ausbildung eines Hauptschullehrers absolviert hatte.
Die anschließende Busfahrt von ca. 30 km war kurzweilig und wir landeten vor unserem Hotel, direkt am Meeresstrand. Das Service war einmalig. Nach der Schlüsselübergabe durch die Hausreiseleiterin sahen wir unsere Koffer seit dem Abflug in Salzburg vor der Zimmertür wieder zum ersten Mal stehen. Inkludiert waren sieben Übernachtungen mit Vollpension, zwei Tagesausflüge und drei Halbtagesausflüge. Weitere Ausflüge wurden jeden Abend beim Essen angeboten und mussten vom jeweiligen Gruppenleiter aufgenommen und kassiert werden.
Mein erstes positives und freundschaftliches Erlebnis hatte ich, als ich in die Rezeption des Hotels kam. Dort erwarteten mich schon die Hotel-Reiseleiter Slavka und Iwo. Iwo bot mir an, er hätte in Varna was zu erledigen, wenn ich Lust hätte könne ich mitfahren. Er würde mir bei der Gelegenheit den Kriegshafen und das Heeres-Museum zeigen, worüber ich natürlich erfreut war. Erstaunt über mein Interesse an seiner Heimat wunderte er sich, dass ich soviel über sein Heimatland wusste. Ich sagte ihm, das kommt nicht von ungefähr, ich habe mir, als ich von dieser neuen Aufgabe erfuhr, einen Reiseführer über Bulgarien besorgt und diesen mit Interesse studiert.
Ich ließ mich um 6.00 Uhr in der Früh wecken und der erste Arbeitstag konnte beginnen. Das Frühstück gab es ab 7.00 Uhr. Ich war zeitig dort, um meine Leute zu begrüßen und mich nach ihren Befinden zu erkundigen. Ich ging von Tisch zu Tisch und erklärte allen, wenn sie irgendein Anliegen hätten, bin ich ihre Ansprechperson und werde alles nach Möglichkeit erledigen. Als ich diese erste Aufgabe des Tages erledigt hatte, wandte ich mich dem reichhaltigen Frühstückbuffet zu.
Um 9.00 Uhr machten wir uns auf den Weg zu unserem ersten Ausflug. Unser Reiseleiter Iwo erzählte uns erst einmal einen kleinen Einblick über seine Heimat verschaffen. Auf einer Schotterstraße fuhren wir am Fuß des Balkan-Gebirges bergwärts. Hier verkehrten nur ein paar Eselkarren und Iwo erzählte mit einem Lächeln, das seien die „Mercedes von Bulgarien“. Nach ein paar Kilometern sahen wir die erste Ortschaft und machten an einem großen Brunnen kurz Halt. Iwo erzählte uns, dass das hier eine der 500 Heil- und Thermalwasser-Quellen sei. Wenn das Wasser bei Augenleiden helfen würde und wenn wir wollten, können wir aussteigen, um von diesem zu trinken und die Augen ausspülen. Nach dieser für uns sinnvollen Aktion ging‘s weiter Richtung Dorf, ein echtes Zigeunerdorf. Wir fuhren im Kriechtempo durch diese Ansiedlung. Alte Leute, ‘Kind und Kegel‘, Ziegen und Schafe säumten die Straße. Wir hatten den Eindruck, als hätten diese Menschen so etwas wie uns kaum einmal gesehen. Iwo erwähnte zudem, dass eine weitere dieser Siedlungen noch auf unserer Route liege, aber es gäbe in der näheren Umgebung noch mehrere solcher Niederlassungen. Wir fuhren einige Kilometer weiter und erreichten die nächste Siedlung, ein nettes und gepflegtes Dörfchen, an dem ein paar Leute auf einer großen Eisenplatte beim Pilze braten waren. Der Reiseleiter erklärte, hier ist unsere erste Jausenstation. Eine Reihe von Tischen und Bänken, alles aus Haselstöcken gebastelt, luden uns zum Hinsetzen ein. Um diese Zeit sind dort schon die Waldchampions reif. Als ich diese Pilze-Bräter sah, dachte ich an meine Kinderzeit, wo wir auf Mutters Küchenherd dasselbe gemacht haben. Dazu gab es das als großer Exportartikel bekannte Joghurt. Um diese herrliche Jause abzurunden, kredenzten sie uns noch den berühmten „Burka“, ein gern getrunkener Kräuter-Schnaps. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus, als wir von einigen dieser Menschen auf „Deutsch“ angesprochen wurden. Auf einmal dachte ich mir, dass die Welt doch klein ist. Ein Mann, der ziemlich gut Deutsch sprach, erzählte, dass er im Krieg bei einer österreichischen Gebirgsjäger-Einheit im Kaukasus und Elbrus Gebirge diente. Die Verbreitung der deutschen Sprache fußte daher, da am 3. März 1878 der dritte Bulgaren Staat gegründet wurde, dessen Thron nacheinander die deutschen Fürsten Alexander von Battenberg und Ferdinand von *Coburg-Gotha bestiegen.
Wir sieben Gruppen aus Tirol und die Gruppe aus Salzburg waren im Hotel Nova untergebracht. Da der Dienstagvormittag zur freien Verfügung stand, machten wir einen schönen Spaziergang an diesem einmalig schönen Strand mit seinem gelben Sand sowie einen Bummel durch das schöne Städtchen Albena mit den vielen Geschäften und Lokalen. Was uns in Staunen versetzte, waren die Preise: ein Bier, ein Glas Wein oder ein Kaffee, dies alles kostete eine D-Mark (Die bulgarische Lewa hatte den gleichen Wert wie eine Mark). Über was wir noch mehr staunten waren die sauberen Straßen, Plätze und der Strand – alles war sauber und wurde sauber gehalten. Dort landete alles im Müllkübel, wo es auch hingehört.
Nach diesen interessanten Erlebnissen ging es zum Mittagessen, wo uns ein mehr als reichhaltiges Buffet erwartete. Auf jedem Tisch stand eine Flasche Wein sowie eine Flasche mit Mineralwasser, beides kostenlos und inklusive. Nach dem Mittagessen stand eine Begrüßungsfeier in der Festhalle von Varna auf dem Programm – eine großartige Veranstaltung mit ca. 2.000 Pensionisten aus Österreich. Was hier geboten wurde, war sagenhaft. Nicht nur das Staatsopern-Ensemble von der Hauptstadt Sofia mit ihrem berühmten Ballett, auch aus den verschiedensten Landesteilen kamen Brauchtums Gruppen in ihren bunten, in Handarbeit gefertigten Trachten. So eine Vielfalt an Kultur ist etwas, das in so einen Kurzbericht nicht möglich zu beschreiben ist. Die Rückfahrt zum Hotel führte uns wieder über die Schnellstraße vorbei an Burgas mit den großen Badestränden, dem Sonnen- und Goldstrand. Ein herrlicher Rundblick von der Raststätte am Fuß des Balkangebirges über dieses schöne Meer machte auch diese Fahrt zu einem unvergesslichen Erlebnis.
Die nächste Ausfahrt führte uns über die Dobratsch-Ebene, der Kornkammer von Bulgarien genannt, in zwei Geländewagen amerikanischer Bauart. Soweit das Auge reicht, sahen wir über eine riesige Ebene und fast alles was wir erspähten war Brachland. Im Jahr 1989, nach dem Ende der Sowjetunion, wurden diese verstaatlichten Ländereien alle wieder den ursprünglichen Besitzern zurückgegeben. Doch denen fehlten die finanziellen Mittel, um sich die nötigen Maschinen für eine Bewirtschaftung kaufen zu können.
Dieses ehemals reiche Agrarland Bulgariens wurde leider über Jahrzehnte durch Korruption und Misswirtschaft zu einem “Dritte-Welt-Land” degradiert. Das war eigentlich der einzige negative Eindruck, den ich von diesem schönen Land mitgenommen habe.
Am Mittwoch stand der erste Tagesausflug auf dem Programm, mit einem Kurzaufenthalt in der Innenstadt von Varna. Nach einem Besuch der Kathedrale machten wir einen Rundgang durch den Stadtpark. In dem Park war ein kleiner See, der mich sofort in den Bann zog. Dieser zeigte die Umrisse Bulgariens, ich war fasziniert und es kam mir gleich eine Idee, die mir in Zell von Nutzen sein könnte. So etwas müsste beim Anlegen des Teiches in unserem im Bau befindlichen Freizeitpark zu verwirklichen sein. Unser Planer, Architekt Berger, war sofort von dieser Idee begeistert – das wäre für ihn auch einmal etwas Neues.
Unsere Fahrt ging weiter, es wurde Zeit zum Mittagessen und unser Reiseziel, das Welt Kulturerbe, die Halbinsel Nessabar. Diese Eindrücke und Aussichten, die man hier genießen kann, muss man gesehen haben. Dieses Naturjuwel hat sich diese Auszeichnung zu Recht verdient. Auf dieser Halbinsel haben einmal vierzig Gotteshäuser gestanden, heute sind es noch sieben, die zur Besichtigung freigegeben sind. Die Bevölkerung von Bulgarien ist zum größten Teil russisch-orthodoxen Glaubens, Muslime und Andersgläubige bilden eine Minderheit.
Auf einer wunderbaren Südterrasse wurden wir mit echten bulgarischen Köstlichkeiten verwöhnt. Mit einer Wanderung am herrlichen Strand und besten Eindrücken am Fuß des Balkangebirges mit Blick auf Burgas und den Sonnenstrand traten wir wieder die Fahrt ins Hotel an.
Am nächsten Tag führte uns der Weg nach dem Frühstück noch in den „Steinernen Wald“, der durch eine Laune der Natur entstanden ist. In der Nähe des Strandes und am Rande eines lichten Birkenwaldes ragten aus dem Erdboden bis zu drei Meter hohe Duftstein Säulen hoch, die innen hohl waren – entstanden vor über einer Million Jahren. Zustande kamen sie durch einen Überdruck des Meeres und wurden somit zu einem viel besuchten Ausflugsziel. Nachmittags ging die nächste Fahrt zu den Klostermauern. Während der muslimischen Herrschaft haben die Mönche diese Felsenwände mit ihren vielen Höhlen als Unterschlupf auserkoren. Dieser Felsen besteht aus sehr porösem Gestein, wo sie sich in den Wänden ihre Schlafkojen einrichten konnten. In der ersten der vielen Etagen haben wir ein paar dieser Kojen besichtigt, es waren sicher einige Hundert.
Am Samstag führte uns der letzte große Ausflug in die „Königstadt Baltschik“, ein Paradies mit einem unvergesslichen Schlosspark. Neben den bis zu 800 Jahren alten Bäumen fand man hier unzähligen verschiedenartige Rosen und eine Blumenpracht, die einem Vergleich mit der „Blumeninsel Mainau“ leicht standhalten könnte. Nach einem reichhaltigen Mittagsmahl im Schlossrestaurant und einer schönen Wanderung durchs Städtchen ging auch dieser Tag wieder mit unvergesslichen Eindrücken zu Ende.
Der Sonntag, und letzter Tag in dem für mich schönen Land, endete mit einem Besuch eines orthodoxen Gottesdienst in der Kirche von „Albena“ und einer anschließenden Einkehr auf einem alten hölzernen Schwarzmeer-Schiff, das zu einem Restaurant und Souvenirladen umgebaut wurde.
Das letzte Abendessen war vorbei und im großen Saal unseres Hotels wurde anschließend ein kleiner Umtrunk eingenommen. Gleich darauf startete schon die Abschiedsfeier für die sieben Gruppen, die in unserem Hotel nächtigten. Drei Bundesländer waren bei diesem ersten Turnus dabei.
Es hieß Abschied nehmen von diesen netten und freundlichen Gastgebern sowie von den örtlichen Reiseleitern und Betreuern, die uns wunderbare Tage in ihrem schönen Land ermöglicht haben.
Am Montag um sechs Uhr war Tagwache, denn um neun Uhr mussten wir in „Varna“ am Flughafen sein.
So habe ich meine erste große Flugreise über die Bühne gebracht und meine “38 Schäfchen” wieder glücklich nach Hause gebracht. Teilnehmer, die diese Frühjahrsreisen schon des Öfteren mitgemacht haben, waren voll des Lobes: „So eine schöne Reise, mit so einem fürsorglichen Reiseleiter hätten sie noch nie erlebt.” Dieses und ähnliches Lob nahm ich natürlich gerne an und auch mir war diese erste weite Reise eine Zeit, die mich immer begleitet und für positive Gedanken sorgen wird.
*Der Begriff “Coburg-Gotha – Bulgarien” bezieht sich auf das deutsche Königshaus Sachsen-Coburg und Gotha, das durch die Heirat von Ferdinand von Sachsen-Coburg und Gotha mit der bulgarischen Prinzessin Maria Luiza von Bourbon-Parma eine Dynastie in Bulgarien begründete. Die bulgarischen Zaren Ferdinand I. und seine Nachfolger Boris III. und Simeon II. gehörten diesem Haus an, was eine Verbindung zwischen dem deutschen Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha und dem bulgarischen Zarenreich herstellt.